Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Das ehrenamtliche kommunale Engagement ist wesentlicher Garant der kommunalen Selbstverwaltung. Dafür stehen mehr als 10 000 Bürgerinnen und Bürger, die sich in Sachsen-Anhalt in den Gemeinde- und Stadträten, in den Ortschaften, in den Verbandsgemeinderäten und in den Kreistagen unentgeltlich und freiwillig für ihre örtliche Gemeinschaft engagieren und Verantwortung übernehmen.

Um dieses für eine starke und lebendige Demokratie unverzichtbare ehrenamtliche Engagement zu gewährleisten, bedarf es einer praxisnahen, modernen und zukunftsorientierten Kommunalverfassung, und genau über eine solche ist in den letzten Wochen und Monaten in vielen Ausschüssen des Landtags intensiv diskutiert worden.

Bei der Fortentwicklung und Modernisierung des Kommunalrechts sind für mich zwei Punkte zentral. Es geht darum, dass die Arbeit im ehrenamtlichen kommunalen Mandat und in der kommunalen Verwaltung erleichtert wird. Und es geht darum, die Handlungsspielräume der Kommunen und damit die kommunale Eigenverantwortung zu stärken.

Ich nenne nur drei Beispiele: Es wird die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und kommunalem Ehrenamt deutlich verbessert, weil Gremiensitzungen zukünftig hybrid durchgeführt werden können. Ein anderer Aspekt ist, dass die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen erleichtert wird, und zwar unter anderem im Bereich der erneuerbaren Energien und der ambulanten Pflege. Eine weitere Neuerung ist, dass die Gestaltungsmöglichkeiten für die kommunale Zusammenarbeit erweitert werden. In dieser interkommunalen Zusammenarbeit kann eine Antwort auf den Fachkräftemangel liegen.

Bei den Beratungen in den Ausschüssen wurde intensiv über die Folgen des Nichtvorliegens von Jahresabschlüssen diskutiert. Nicht zuletzt mit Blick auf die Berechnung der Finanzumlagen ist es notwendig, dass die Kommunen ihre aktuellen Jahresabschlüsse vorliegen haben. Deshalb sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Genehmigung kommunaler Haushalte ab dem Jahr 2025 vom Vorliegen des Jahresabschlusses des Vorvorjahres abhängig ist.

Auch wenn ich die Bedenken, die vom Städte- und Gemeindebund vorgebracht wurden, nicht teile, nehme ich deren Sorgen ernst. Daher habe ich dem Städte- und Gemeindebund zweierlei signalisiert: Im Innenministerium bereiten wir bereits einen Erlass vor, mit dem sich die bestehenden Erleichterungsregelungen bei der Aufstellung der Jahresabschlüsse auch auf die Aufstellung der Jahresabschlüsse 2023, 2024 und 2025 erstrecken sollen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich werde wegen der Ausgestaltung der vorläufigen Haushaltsführung mit dem Städte- und Gemeindebund und dem Landkreistag sprechen. Die Kommunalaufsichtsbehörden haben auch bei Kommunen in vorläufiger Haushaltsführung einen weiten Ermessensspielraum. Dieser ermöglicht es, unter Berücksichtigung der jeweiligen Anstrengungen und Fortschritte bei den Jahresabschlüssen im Einzelfall zu angemessenen Entscheidungen zu gelangen und unbillige Härten zu vermeiden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Abschließend halte ich fest: Unsere Kommunen erhalten ein modernisiertes und in die Zukunft gerichtetes Kommunalrecht, das ihnen die notwendige Bewegungsfreiheit gibt, Entscheidungen nach den Bedürfnissen vor Ort zu treffen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger: 

Es gibt einige Nachfragen. Wir beginnen mit Herrn Roi.


Daniel Roi (AfD): 

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, ich habe eine Nachfrage zu § 96 des Kommunalverfassungsgesetzes. Dort geht es um die hauptamtlichen Bürgermeister, wo Sie die Änderung hineinnehmen, wählbar ist nur, wer die Gewähr dafür bietet, dass sie jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt eintreten.

(Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)

In der Erklärung zu dem Gesetzentwurf steht dann, dass die abschließende Bewertung dieser Einschätzung nicht der Wahlausschuss trifft. Der Wahlausschuss kann das feststellen, aber er trifft sie nicht abschließend. Also, wer entscheidet darüber, ob jemand die Gewähr dafür bietet oder nicht. Denn wir hatten vorhin die Diskussion bei den Waffenkartenbesitzern, dass die AfD in Sachsen-Anhalt, um ein konkretes Beispiel zu nennen, durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde. Reicht das aus, um die Kandidaten der AfD von der Wahl auszuschließen, oder wer entscheidet das, um jetzt einmal konkret zu werden?


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Ich denke, es sollte selbstverständlich sein, dass Hauptverwaltungsbeamte im Land Sachsen-Anhalt die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht nur respektieren und akzeptieren, sondern auch für diese freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehen.

(Beifall bei der CDU, bei der Linken, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Ob die Voraussetzungen vorliegen, wird jeweils im Einzelfall festzustellen sein.

(Zurufe von der AfD: Wer?! Wer stellt das fest? Ja, wer denn?)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger: 

Herr Roi hat eine Nachfrage, die kann er stellen. 


Daniel Roi (AfD): 

Sie haben vollkommen recht, das wird festzustellen sein. Meine Frage an Sie als Innenministerin ist: Wer stellt das abschließend fest?

Ich kann Ihnen vorlesen, wie das in der Beschlussvorlage steht, in der Erklärung: Die Nichtzulassung zur Wahl wegen Fehlens der Verfassungstreue sollte jedoch nur auf offensichtliche Fälle beschränkt werden, da eine abschließende rechtssichere Detailprüfung der Verfassungstreue vom Wahlausschuss als ehrenamtlichem Laiengremium - so schreiben Sie das - mit Blick auf die engen wahlrechtlichen Fristen nicht gewährleistet werden kann. - Das heißt also, Sie sagen selber, es kann nicht gewährleistet werden, dass der Wahlausschuss das feststellt. Die Frage ist jetzt: Wer stellt es dann fest? 


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Ich habe die Paragrafen - es ist ein dickes Gesetzespaket - im Einzelnen nicht mit. Man muss immer unterscheiden, die Zulassung zur Wahl - das ist der erste Schritt - stellt der Wahlausschuss fest. Bei dem nächsten Schritt kann es sein, dass es die Vertretung feststellt, aber das müsste ich mir in der Kaskade noch einmal im Einzelnen anschauen.


Daniel Roi (AfD): 

Können Sie das schriftlich nachreichen?


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Das mache ich.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger: 

Danke, dann Herr Gallert, bitte.


Wulf Gallert (Die Linke): 

Frau Innenministerin, ich hatte noch einmal Gelegenheit, die Position des Städte- und Gemeindebundes zu dem in Rede stehenden § 102 in Osterburg bei der Kreisvorstandstagung zu hören, die gelinde gesagt not amused sind, wie das Land mit den eigenen Gemeinden umgeht, die darauf hinweisen, dass es immer wieder neue Bestimmungen, Herausforderungen und Verordnungen gibt, die umzusetzen sind, oft unter den Bedingungen von Personal- und Finanzmangel, und dann nicht akzeptiert wird, dass es wenigstens um eine ein- oder zweijährige Verschiebung dieses Paragrafen geht. Dazu sage ich noch einmal ganz klar: Das ist aus deren Perspektive ein ganz klarer Misstrauensbeweis, was diesen § 102 anbelangt, und die Kollegen der CDU, die vorgestern dort waren, wissen das übrigens auch.

Ich habe eine konkrete Frage. Es ist auf die Geschichte, wir machen einen Erlass mit erleichterter Haushaltsführung, hingewiesen worden. Herr Dittmann sagte, das ist eine Lose-lose-Situation. Wenn wir erst einmal in dieser vorläufigen Haushaltsführung sind, müssen diejenigen, die sich ansonsten um die Jahresabschlüsse kümmern könnten, jetzt für jede einzelne Ausgabe Sondergenehmigungen beantragen, sodass diejenigen, die damit konfrontiert sind, noch mal schlechtere Voraussetzungen dafür haben, einen Jahresabschluss rechtzeitig hinzubekommen. Was würden Sie dem sagen?


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Was ich sage, ist, dass seit 2013 die Rechtspflicht besteht, Jahresabschlüsse aufzustellen. 

(Zustimmung bei der CDU)

Weil wir wissen, dass die Umstellung auf die Doppik die Kommunen durchaus vor große Herausforderungen stellt, sind wir ihnen dadurch entgegengekommen, dass wir Erleichterungen für die Aufstellung der Jahresabschlüsse vorsehen. Wir wissen auch, dass sich gerade auch im zurückliegenden Jahr sehr, sehr viele Gemeinden intensiv auf den Weg gemacht haben, die Rückstände bei den Jahresabschlüssen aufzuholen. Aufgrund der Debatten, die es darüber jetzt gegeben hat, haben einige noch einmal mehr Gas gegeben. 

Der Präsident des Städte- und Gemeindebunds selbst hat in der Ausschusssitzung gesagt, dass es gut zu schaffen sei, vier Jahresabschlüsse pro Jahr hinzubekommen. Insofern ist das sicherlich auch deshalb möglich, weil wir die Erleichterungen für die Aufstellung der Jahresabschlüsse per Erlass geregelt haben. Damit, dass wir jetzt ankündigen, das auch für die Jahresabschlüsse 2023, 2024, 2025 vorzusehen, wollen wir den Gemeinden vor allem die Rechtssicherheit geben, dass sie mit diesen Erleichterungen eben auch in den Jahren 2023, 2024, 2025 arbeiten können. Im Augenblick haben wir die Erleichterungen nur für das Haushaltsjahr 2022 vorgesehen, aber damit sie eben auch in ihrer Arbeitsplanung wissen, wie sie es machen, wollen wir ihnen im Augenblick diese Rechtssicherheit geben. 


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Es gibt noch eine dritte Frage. Aller guten Dinge sind drei. - Herr Hövelmann, bitte. 


Holger Hövelmann (SPD):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, die Städte und Gemeinden sind verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2024 den Haushalt für das Jahr 2025 zu beschließen und zur Genehmigung einzureichen, jedenfalls im Normalfall. Gibt es eine Einschätzung im Innenministerium, in wie vielen der noch offenen Fälle, in denen man das mit der Jahresrechnung bisher nicht geschafft hat, damit gerechnet wird, dass das bis zum 31. Dezember dieses Jahres noch schaffbar ist? Gibt es dazu eine Einschätzung Ihrerseits? 


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):

Es gibt keine eins zu eins belastbare Zahl, die ich Ihnen jetzt nennen kann, auch deshalb nicht, weil ich merke, dass in den letzten Wochen sehr, sehr viel Bewegung in die Aufstellung der Jahresabschlüsse gekommen ist und auch weil die Möglichkeit einer Beauftragung von Wirtschaftsprüfern und anderen genutzt wird. Das heißt, das Instrumentarium der Unterstützung bei der Aufstellung der Jahresabschlüsse wird durchaus einmal mehr genutzt. Wie gesagt, eine Zielzahl ist die, die der Präsident des Städte- und Gemeindebunds selbst genannt hat: Mindestens vier Jahresabschlüsse pro Jahr sind zu schaffen, vielleicht sogar mehr. 

Ich will an dieser Stelle - der Städte- und Gemeindebund ist das eine - auch die Perspektive des Landkreistages einbringen. Das ist im Rahmen der Berichterstattung aus den Ausschussberatungen deutlich geworden: Wir haben nicht nur die Diskussion über die Frage der Aufstellung der Jahresabschlüsse, sondern wir haben im Land auch eine intensive Diskussion über die Kreisumlage, auch mit Blick auf eine oberverwaltungsgerichtliche Entscheidung. Diese oberverwaltungsgerichtliche Entscheidung schreibt im Augenblick fest, dass man fünf Jahre zurückblicken muss, das betreffende Jahr angucken muss und dann drei Jahre nach vorn schauen muss, um eine Kreisumlage festzulegen. Bei dem Blick fünf Jahre zurück - das zeigen Heilungssatzungen, die gerade geschrieben werden - ist es ein eklatanter Unterschied, ob ich weiterhin auf Planzahlen oder auf Jahresabschlüsse zurückgreife. 

(Zustimmung bei der FDP)

Das zeigt einmal mehr, dass die Jahresabschlüsse auch für die kommunale Familie insgesamt von Bedeutung sind.